Nachdem ich mich in den letzten Tagen vergewissern konnte, dass im Harz auch Anfang November noch der goldene Oktober das Bild beherrschte, kündigte die Wettervorhersage für Sonntag hervorragendes Wetter zum Fotografieren der Harzer Schmalspurbahnen an: Kalt genug, um den Dampf der Lokomotiven in schöne Wolken kondensieren zu lassen, aber warm genug, um beim Kurbeln mit dem Faltrad entlang der Bahnstrecke nicht ins Schwitzen zu geraten, und vor allem sonnig genug, um die Bäume im Harz wieder in eine goldene Glut zu tauchen (beziehungsweise das, was der Borkenkäfer von den Wäldern übrig gelassen hat).

Allerhöchste Eisenbahn

So ging’s dann morgens mit der Bahn bis Wernigerode, genauer gesagt, ging es nicht bis Wernigerode, weil ein entgegenkommender Regionalexpress den Wochenenddienst quittiert hatte und ich drum mit fast anderthalb Stunden Verspätung, aber mittlerweile ausgeschlafen in Wernigerode aus dem Zug purzelte.

Die erste Dampflok des Tages hatte ich somit schon verpasst, die zweite machte sich gerade auf den Weg und legte über den Dächern der Fachwerkhäuser dichte, weiße Wölkchen wie flockige Brotkrumen für ihre kamera- oder drohnenbewehrte Verfolger aus. Erst verpasste ich den Zug am Bahnübergang Westerntor, acht Minuten später an der Friedrichstraße. Schade, denn dort hatte ich auf ein schönes Foto von einer vor Begeisterung schnaubenden Dampflok gehofft, die eingerahmt von sonnig-goldenen Bäumen die Steigung erklimmt.

Mutmaßlich wusste die Dampflok nicht, dass ich dieses Jahr an sieben Radrennen mit durchaus akzeptablen Ergebnissen teilgenommen hatte und mit dem Faltrad nur weitere neun Minuten bis zum Parkplatz Thumkuhlental brauchte, wo ich die Lok schon brüllend den Hang entlangstampfen hörte. Die Drohne war rechtzeitig auf Augenhöhe mit der Lok, die sich als 99 236 zu erkennen gab, um die Fahrt durch den Drängetaltunnel zu fotografieren. Anschließend schauten wir dem Zug noch eine Weile hinterher — die morgendliche Kälte zauberte beeindruckende Dampfwolken in die herbstliche Landschaft, unter denen der Zug kaum noch zu erkennen war.

Mit der DJI Mavic 3 Pro am Drängetaltunnel

Weiter ging es auf kleinen Reifen die buckelige Strecke zu ebenjenem Drängetaltunnel hinauf, wo laut Fahrplan 40 Minuten später die Neubaulok 99 1241 auf dem Weg zum Brocken vorbeikommen sollte. Während des Anstiegs am Thumkuhlental rauchte die Lok leider mehr als sie dampfte und das erhoffte Foto von einer weiß dampfenden Lok unter einem bunten Blätterdach fiel leider aus. Kurz vor der Einfahrt in den Drängetaltunnel verpasste ich die richtige Gelegenheit, um die Lok im Sonnenlicht zu fotografieren.

Das sind dann die Momente, in denen ich auch nach knapp einem Jahr mit der DJI Mavic 3 Pro noch so meine Probleme habe: Die drei Objektive der Drohne möchte ich nicht missen, weil sie mir insbesondere an Tagen wie diesen am Brocken alle erdenklichen Perspektiven ermöglichen, aber das Umschalten von einer Kamera auf die andere dauert mitunter einen Moment zu lange und die Auslöseverzögerung kann ich noch immer nicht besonders gut einschätzen — da ist selbst eine Schmalspur-Dampflok manchmal schneller als mein Finger am Auslöser.

Die Drohnen von DJI bieten zwar eine Serienbildfunktion, die aber drei, fünf oder sieben Bilder direkt hintereinander schießt, die aber bei der Eisenbahnfotografie nicht so richtig hilfreich ist: So schnell ist die Dampflok dann wiederum doch nicht, die Fotos sehen alle recht ähnlich aus. Versteckt sich die Dampflok auf dem ersten Foto hinter einem Baum, so bleibt sie bis zum siebten Foto dahinter verborgen.

Zudem genehmigt sich die Drohne nach jedem Foto ein kleines Päuschen, um die Daten in Ruhe auf die SD-Karte zu schreiben und so dauert es nach einer Salve mit der Serienbildfunktion eine ganze Ewigkeit, bis die Kamera wieder einsatzbereit ist. Das ist also eine recht kribbelige Abwägung zwischen dem Einsatz der Serienbildfunktion und dem Risiko, einige schöne Motive zu verpassen.

Das soll nun erst einmal genug des Gejammers sein, denn die Dampflok tauchte nun auf der anderen Seite des Tunnels auf und in ein wundervolles Motiv zwischen grünen und goldenen Bäumen ein. Welch ein einmaliger Anblick! Auch wenn das Umschalten zwischen den drei Kameras der Drohne einen Moment dauert, kann ich mit dem Teleobjektiv dem Zug bis zum Betriebsbahnhof Drängetal hinterherschauen.

Mikadostäbe am Hang

Nun hatte ich anderthalb Stunden Zeit bis zum nächsten Zug, der dann von Wernigerode nicht bis auf den Brocken, sondern zur Eisfelder Talmühle fahren würde. Kurz danach stand die erste Abfahrt des Tages vom Brocken zurück bis nach Wernigerode auf dem Fahrplan. Ich folgte dem Bahnparallelweg zweieinhalb Kilometer, auf denen ich mein Fahrrad teilweise wegen abgängiger Wege tragen musste, und hatte ausgiebig Gelegenheit, die vielen kahlen Stellen des Harzes zu betrauern.

Als Kind bin ich mit meinen Eltern auf diesem Weg durch dunkle, unvorstellbar große Wälder gewandert (und zeigte schon damals eine unbändige Begeisterung für Züge), heute könnte ich hier ungestört von lästigen Ästen die Aussicht genießen, gäbe es denn hier etwas schönes zu sehen abseits der Dampflokomotiven. Stattdessen blicke ich auf Hügel, die von Borkenkäfern und Trockenheit gezeichnet sind; entweder liegen die Bäume wie Mikadostäbe am Hang oder sie wurden gefällt, so dass riesige Flächen wie pickelige Oberflächen eines pubertierenden Jugendlichen gleichen — allein: Die Pubertät endet mit der Zeit, aber ob aus dem Wald noch mal was wird?

Als ich vor fünf Jahren das erste Mal mit dem Fahrrad den Brocken hochgekurbelt bin, wären diese Fotos gar nicht möglich gewesen — erstens war es neblig und zweitens stand hier noch ein respektabler Wald. Heute sieht es aus, als hätte doch mal jemand eine Atombombe gezündet, in Sekundenbruchteilen den Wald entlaubt und die Stämme auf die andere Seite des Tals geschmissen.

Drohnenflüge im Harz — geht das?

Da laut Fahrplan immer noch genug Zeit bis zum nächsten Zug bleibt, möchte ich gern noch ein paar Worte zu den rechtlichen Rahmenbedingungen verlieren, innerhalb derer ich meine Drohne habe steigen lassen — immerhin wurde ich im Laufe des Sonntages vier Mal von Wanderern angesprochen wurde, ob das, was ich da tue, denn erlaubt wäre, beziehungsweise dass das, was ich da tue, ganz schön verboten wäre (und vier von zehn Menschen, die ich an dem Tag traf, eine ganz erstaunliche Quote sind).

Allein: Die rechtlichen Aspekte für Drohnenflüge im Gebiet der Brockenbahn sind für einigermaßen erfahrene Fernpiloten nicht besonders aufregend, füllen aber locker ein paar DIN-A4-Seiten. Um es kurz zu fassen: Es geht alles mit rechten Dingen zu, denn mit der so genannten Allgemeinerlaubnis für Drohnenflüge des Landes Sachsen-Anhalt darf ich auch in unmittelbarer Nähe von Eisenbahnanlagen fliegen. Außerdem befinde ich mich zwischen Wernigerode und Drei Annen Hohne noch nicht im eigentlichen Nationalpark Harz, in dem Drohnenflüge tatsächlich untersagt sind, sondern „nur“ in einem Landschaftsschutzgebiet, das allerdings keine Einschränkungen für Drohnenflüge mit sich bringt.

Nun nähert sich endlich 99 7240 auf dem Weg nach Nordhausen. Ich lasse die Drohne rechtzeitig aufsteigen und kann aus der Ferne beobachten, wie sich das Höhenprofil der Strecke offenbar auf die Dampf- oder Rauchfahne der Dampflok auswirkt. Als Laie vermute ich: Strengt sie sich ganz besonders an, findet eine unsaubere Verbrennung statt, die sich mit einer dunklen Rauchwolke am Schornstein zu erkennen gibt. An seichteren Steigungen hingegen entfaltet sich eine wunderschöne Dampffahne, die von der tiefstehenden Herbstsonne hinterrücks beleuchtet wird und sich wunderschön mit den glühenden Herbstbäumen vermengt. Fünf Kubikmeter Wasser genehmigt sich eine Lokomotive zwischen Wernigerode und Drei Annen Hohne.

Wiedersehen mit 99 236

Die erste Abfahrt des Tages zurück nach Wernigerode steht an. 99 236, die ich morgens schon am Parkplatz Thumkuhlental fotografiert hatte, rollt leichtfüßig den Hang hinunter dem Feierabend entgegen, von Dampf ist nichts zu erkennen. Klar, bergab rollt die Fuhre beinahe von allein. Diese Fotos illustrieren schön, warum man Züge an der Brockenbahn bevorzugt bergauf fotografiert: Erstens besteht die Chance auf schöne Dampfwolken, zweitens fährt die Lokomotive mit dem Gesicht nach vorne, während abwärts der Tender voraus rollt.

Dystopische Grenzerfahrung an Drei Annen Hohne

Mit dem Faltrad geht’s weiter den Wanderweg entlang bis zur Jugendherberge, von dort aus rollt es sich auf den 16-Zoll-Rädern des Faltrades auf befestigten Straßen deutlich angenehmer.

In Drei Annen Hohne treffe ich 99 7241, die mit ihrem Zug aus Nordhausen angekommen ist und sich erstmal am Wasserhahn labt. Kurz darauf geht’s mit dunkler Rauchwolke die nächsten 591 m hoch bis auf den Brocken. Da die Grenze des Nationalparks hinter Drei Annen Hohne entlang der Landesstraße 100 verläuft, kann die Drohne dem Zug auf der Fahrt durch diese dystopische Landschaft noch eine Weile hinterher blicken. Es verstört mich jedes Mal erneut, wie tot diese Landschaft ist, wie wenig Leben selbst aus der Vogelperspektive der Drohne überhaupt sichtbar ist. Hier wurde mir wieder gegenwärtig, dass sich das Waldsterben nicht nur auf ein einziges Tal beschränkt, sondern hinter den Hügeln ein weiteres Tal mit toten Bäumen folgt, an das sich ein drittes Tal mit toten Bäumen anschließt.

Das beste Motiv beinahe verpasst

Mit dem Faltrad geht’s zurück an Drei Annen Hohne und der Jugendherberge vorbei bis zur Bahnstrecke. Dieses Mal wähle ich einen kürzeren Wanderweg südlich der Bahnstrecke, an dem ich vor ein paar Wochen schon einmal mit der kleinen Drohne zugange war. Nach einiger Zeit höre ich das Pfeifen der nächsten Dampflok, doch bis 99 234, umgezeichnet auf 99 7234-0, den Hang herunter rollt, sollte es noch ein paar weitere Minuten dauern. So richtig zufrieden bin ich mit den Aufnahmen nicht: Kein Dampf, größtenteils fades Licht, der Zug größtenteils verschaltet in der Hanglage der Eisenbahntrasse.

Ich klappte die Drohne zusammen und das Faltrad auf, folgte der Serpentine des Wanderwegs bis zur nächsten Straße herunter und hörte plötzlich wieder ein lautes Stampfen in der Nähe. Ich brauchte einen kurzen Moment, aber eben einen kurzen Moment zu lange um zu begreifen, dass sich hier gerade ein Zug näherte, der ganz offensichtlich nicht im Fahrplan verzeichnet war.

Doppelt ärgerlich: Einerseits hätte ich hier noch einen schönen Zug fotografieren können, andererseits ratterte just in diesem Moment über mir womöglich das beste Motiv des Tages entlang: Die Bahnschienen führten direkt in Richtung der langsam untergehenden Sonne, die Dampfwolken glühten im warmen November-Sonnenlicht und malten ein einmaliges Bild in die herbstliche Landschaft.

Warten auf die letzten Sonnenstrahlen mit 99 236

Nun bin ich bekanntlich nur mit mittelmäßigem fotografischen Talent ausgestattet und mit der dicken Spiegelreflexkamera in der Hand allenfalls Mittelklasse. Es gibt eine ganze Menge Leute, deren schnelle Auffassungsgabe für das richtige Motiv und eine angenehme Bildkomposition ich bewundere.

Bei Drohnenflügen kompensiere ich meine Schwächen nicht nur mit teurer Technik, sondern kaufe mich mit Geld in die schönen Motive ein: Das besagte Motiv mit der Dampflok, die wie Lucky Luke in den Sonnenuntergang reitet, gibt’s auf legalem Wege nur mit der Allgemeinerlaubnis für Drohnenflüge.

Was ich aber kann: Bockig den Falthocker auspacken und auf die nächste Bahn warten, die eine Dreiviertelstunde später in den Sonnenuntergang rollen sollte, sofern sich denn die Sonne gegen 15:30 Uhr noch nicht so weit hinter die Berge zurückgezogen haben sollte. Insofern behielt ich während dieser Dreiviertelstunde ganz genau die Bäume entlang der Bahnstrecke im Auge, die sich mit fortschreitender Zeit Stück für Stück im Schatten Schlafen legten.

Zum dritten Mal an diesem Tag begegnete ich 99 236, die sich gerade noch rechtzeitig auf den letzten Sonnenstrahlen den Hang hinaufschnaufte. Das erhoffte Motiv mit der Dampflok, die sich in den Sonnenuntergang schiebt, für das ich eine Dreiviertelstunde gewartet hatte, bekam ich nicht: 99 236 blies so viel Wasserdampf in die Luft, dass jene Stelle, die ich für die Drohne vorgesehen und schon als Flugpunkt programmiert hatte, in einer Wolke verschwindet.

Immerhin brachte ich die Drohne rechtzeitig in eine bessere Fotoposition und kann immerhin noch aus einer diagonalen Perspektive den Ritt in den Sonnenuntergang fotografieren. Auf dem letzten Drohnenfoto des Tages zeichneten die Dampfwolken den Verlauf der Bahnstrecke nach, darunter schmiegte sich der Zug in den schattigen Hang. Schöner wurde es nicht mehr.

Den Abend in vollen Zügen genießen

Das schöne an einer Fahrt mit dem Rad auf den Brocken (beziehungsweise bis Drei Annen Hohne): Die Rückfahrt nach Wernigerode rollt gänzlich ohne jegliche Anstrengungen. Weil die kleinen 16-Zoll-Räder des Bromptons deutlich schneller drehen als die 28-Zoll-Räder meiner anderen Fahrräder, mit denen ich mich normalerweise durch den Harz kämpfe, vermeide ich die Felgenbremse und düse mit unvernünftigen 55 km/h Richtung Wernigerode.

Mit dem Verlassen des Harzer Schmalspurwunderlandes kam mir aber auch die Pünktlichkeit des Bahnverkehrs abhanden, der erste Zug ab Wernigerode fuhr erst mit einer sagenhaften Verspätung von 50 Minuten ab und dann auch nur bis Vierenburg, wo man in den nachfolgenden Zug steigen sollte, der aber auch schon proppevoll angerempelt kam, ich fuhr dann über Braunschweig und Hannover bis Lüneburg, erreichte Lüneburg aber noch einmal eine Stunde später, weil mich das freundliche Zugpersonal samt Faltrad in Celle aus dem Zug bat: Ich sollte mit dem Faltrad bitte nicht im Türraum stehen. Die Alternative wäre gewesen, dass ich einen älteren Fahrgast von meinem eigentlich reservierten Sitzplatz gescheucht hätte, dann wäre der Opa vielleicht in Celle bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt ausgesetzt geworden.

So oder so: Man sollte sich einfach nicht auf normalspurige Eisenbahnverkehrsunternehmen verlassen. Das gibt nur Ärger.